Bestandskraft eines versehentlich verschickten Behördenentscheids

Auch ein versehentlich verschickter Behördenbescheid kann Bestandskraft entfalten, wenn der Empfänger auf die Korrektheit der Benachrichtigung vertrauen durfte.


In dem verhandelten Sachverhalt war dem Kläger, einem suchtkranken Ingenieur, die Übernahme der Rehabilitationskosten in Höhe von 13.000 Euro durch die deutsche Rentenversicherung zugesagt worden. Diese Mitteilung erfolgte per amtlichen Bescheid. Nachdem er die Behandlung seiner Suchtkrankheit zunächst vorgestreckt hatte, erreichte ihn rund drei Monate später ein weiteres Schreiben, in welchem ihm die Übernahme von lediglich 2.938 Euro zugesagt wurde. Auf seine Nachfrage hin wurde ihm mitgeteilt, dass das erste Schreiben lediglich ein verwaltungsinternes Duplikat zur internen Bearbeitung innerhalb der Behörde gewesen sei und er solches bereits anhand des am Ende jeder Seite befindlichen Drucks "Duplikat für AIGR 5411" hätte erkennen müssen. Ohne erklären zu können, wie die Papiere dem Kläger zugegangen seien, behauptete die Behörde, es würde sich lediglich um eine "Information" handeln. Von einer auf der Bekanntgabe des ersten Bewilligungsbescheides, die aber Wirksamkeitsvorraussetzung für einen Verwaltungsakt sei, könne aber keine Rede sein. Eine Bekanntgabe läge nämlich erst vor, wenn der Bescheid mit Wissen und Wollen der zuständigen Behörde in den Entscheidungsbereich des Empfängers gelangt sei. Vorliegend sei das aber nicht geschehen, weshalb auch kein Anspruch auf Übernahme der gesamten Kosten bestehen würde.

Dieser Auffassung folgte das Gericht nicht. Auch wenn das erste Schreiben nicht mit "Bescheid" überschrieben sei, würde es sich eindeutig um einen solchen handeln. Dieser sei mit der Zusendung an den Kläger bestandskräftig geworden und könnte nicht einfach aufgehoben werden, indem man einen zweiten, niedrigeren Bescheid verschickt und in diesem nicht einmal Bezug auf das erste Schreiben nimmt. Soweit die Behörde die Auffassung vertritt, der Bescheid sei ohne ihr Wissen und Wollen in die Hände des Klägers gelangt, müsste sie dies beweisen. Der Beweis konnte im vorliegenden Sachverhalt aber nicht geführt werden. Deshalb würde auch hier der Vertrauensschutzgrundsatz gelten, an welchem sich die Behörde festhalten lassen muss, weshalb der Kläger einen Anspruch auf volle Kostenübernahme hätte.
 
Sozialgericht Wiesbaden, Urteil SG WI S 9 R 163 09 vom 01.09.2011
Normen: § 37 I S.1 SGB X
[bns]